Die pädagogische Landschaft hat ein neues Buzzword namens Inklusion. Laut dem Wiki von www.integrationspädagogik.net bedeutet das: [box type=“info“]Alle behinderten Kinder besuchen wie alle anderen Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen Regelschulen, die die Heterogenität ihrer Schüler und Schülerinnen schätzen und im Unterricht fruchtbar machen.[/box] Das hört sich doch wunderschön und fast schon nach pädagogischem Utopia an. Doch wie immer spaltet sich die Lehrerschaft beim Thema Inklusion in zwei Lager. Glühende Befürworter und vehemente Gegner treffen aufeinander, Twitter läuft über vor Kommentaren zur #Inklusion

Ich selber bin noch zu keinem abschließenden Urteil gelangt, habe jedoch ein paar Gedanken zu formulieren, die vielleicht einen weiteren Austausch oder eine weitere Diskussion anfachen könnten.

Ich bin bisher drei Mal in meinem Leben über Inklusion bzw. die Diskussion darüber gestolpert:

Meine eigene Schulzeit

Ich habe mein Abitur am Conrad-von-Soest-Gymnasium abgelegt, welches zu meiner Zeit sehende und blinde Schüler gemeinsam (heute würde man wohl sagen „inkludiert“) unterrichtet hat. Da in Soest auch die westfälische Blinden- und Sehbehindertenschule ansässig ist, gab es nicht in jeder Klasse am Convos blinde Schüler, die Mehrzahl der behinderten Kinder haben die spezielle Schule besucht. Die Erfahrungen, die nicht ich, sondern mein Bruder, welcher ebenfalls am Convos sein Abitur abgelegt hat, gemacht haben, sehen, verkürzt, so aus:

In Klasse 5 und 6 funktioniert Inklusion noch ganz gut – es fanden sich immer Schüler, die die beiden blinden Mitschüler mit in die Pause nahmen und in der Pause auch etwas mit ihnen unternahmen. Spätestens mit Eintritt in die Pubertät änderte sich das schlagartig und das Kümmern um blinde Mitschüler wurde zunehmend als Last empfunden. Hinzu kam sicherlich, dass auch die blinden Mitschüler in der Pubertät und dementsprechend problematisch waren. Zusätzliche Unterstützung durch Sozialpädagogen oder Sonderpädagogen wäre hier vonnöten gewesen, die gab es aber nicht. Blinde und sehende Kinder wurden mit der Situation mehr oder weniger allein gelassen.

Mein familiärer Background

Meine Mutter ist späterblindet, extrem aktiv in der deutschen Blinden- und Führhundszene und sehr rege, was die Arbeit in Arbeitskreisen und Gremien der Blindenarbeit in Deutschland angeht. Sie selbst hält Inklusion für Blödsinn, kennt sie doch die besonderen Bedürfnisse behinderter Menschen (übrigens empfindet meine Mutter das Wort „behindert“ nicht als Herabstufung, sondern weist immer wieder darauf hin, dass sie ja genau das ist – die Blindheit behindert sie) und ist fest davon überzeugt, dass es weit besser ist, den speziellen Bedürfnissen behinderter Kinder in speziell ausgestatteten Schulen entgegen zu kommen, anstatt sie auf Teufel komm raus in Regelschulen zu integrieren.

Mein Praktikum in England

Ich habe während meines Studium ein Praktikum an der Langdon Comprehensive School in London absolviert. Diese Schule hat Schüler mit unterschiedlichsten Behinderungen in den normalen Unterricht integriert. Allerdings waren die Klassen dort weit kleiner als die, die ich in Deutschland kennen gelernt habe. Weiterhin gab es für je zwei „special needs“ Schüler eine(n) Betreuer(in) in der Klasse der/die sich speziell um die beiden Kinder kümmerte und so die Lehrkraft entlastete.

Meine Bedenken bezüglich des Inklusionsgedankens kreisen vor allem um die Frage, ob hier nur wieder eine neue „Sau durchs Dorf getrieben“ wird, wie viele ältere Kollegen genervt zu jeder Veränderung am Schulsystem sagen, oder ob sich wirklich etwas ändern würde – siehe meine Erfahrungen in London in den 1990er Jahren. Würden wir, wenn wir Inklusion betreiben:

  • als Lehrer dafür aus- bzw. weitergebildet?
  • kleinere Klassen bekommen?
  • Unterstützung durch Sozialpädagogen erhalten?


Weiterhin frage ich mich, ob Inklusion das Bildungssystem wirklich verbessert (im Sinne von Schülern, die am Ende ihrer Schulzeit eine umfassende soziale Kompetenz aber auch fundiertes fachliches Wissen sowie eine große Breite an unterschiedlichen Kompetenzen in vielen Lebensbereichen mit in die Wirklichkeit des Lebens nehmen), oder ob nicht übertriebene Romantik Vater oder Mutter des oben formulierten Gedankens [box type=“info“]Alle behinderten Kinder besuchen wie alle anderen Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen Regelschulen, die die Heterogenität ihrer Schüler und Schülerinnen schätzen und im Unterricht fruchtbar machen.[/box] ist?

Das Video, das uns die Gesellschafter der Aktion Mensch hier präsentieren, zeigt natürlich eindrucksvoll, wie wunderbar eine Gesellschaft funktionieren kann, wenn jeder mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten am großen Ganzen mitarbeitet:

Schulchor mit Inklusion

http://diegesellschafter.de/video/film.php?uk=9rpxfjuz186qm&z1=1289658007&z2=0388951313dca4ee2a061082e5752023&

Als Schulmusiker und Chorleiter muss ich allerdings sagen, im Chor zu singen ist kein Mathe-, Englisch-, Deutsch- oder Chemieunterricht. Für einen Chor gibt es kein Zentralabitur, keine Lernstandserhebungen und Vergleichsarbeiten. Im Video wird eidnrucksvoll gezeigt, wie der gehörlose Junge in Gebärdensprache singt. Wie ich als ganz normaler Lehrer blinde, taube, taubblinde, seh- oder lernbehinderte Kinder neben „normalen“ Schülern unterrichten soll, sagt mir dieses Video aber leider nicht.

Gedanken zur Inklusion